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Auf dem Prüfstand: Internet in der Bahnstadt, Heidelberg

(Geschrieben von Sebastian Werner am March 21, 2015)
Die größte Passivhaus-Siedlung der Welt setzt Meilensteine. Viele junge Familien und Unternehmen lassen sich hier nieder. "Eines der größten Stadtentwicklungsprojekte in Deutschland" ist in vielen Bereichen sehr gut. Das Internet gehört leider nicht dazu. In der Bahnstadt in Heidelberg macht das Internet den Eindruck eher "Neuland" zu sein.

Ja, natürlich funktioniert es. Natürlich gab es das alles schon schlimmer. Aber das dürfte wohl kaum ein sinnvoller Vergleich für eines der innovativsten Bauprojekte der letzten Jahre sein. Wo liegt also das Problem? Die Qualität der verlegten Leitungen und der Anbindung an die Internetknoten ist für "Normalbürger" sicher schwer einschätzbar. Glasfaser sei der modernste Standard heutzutage. Also muss es doch gut sein. Denken viele – ist nur leider nicht unbedingt richtig. Tatsächlich liegt das Problem eher bei der Gestaltung der Produkte, die diese Leitungen nutzen. Ein NGA-Netz (Next Generation Access), wie Glasfaser, kann auch den Zielen der zukünftigen EU-Bestrebungen für 2018 und 2020 gerecht werden.

Die Produkte dafür zu gestalten, liegt aber in der Hand der Anbieter. Leider lassen sich diese derart lumpen, dass wir nur mit Mühe und Not nicht als förderungsfähiger "weißer Fleck" gelten. Das ist wirklich beachtlich für ein mit Glasfaser versorgtes Neubaugebiet. Auch das dürfte einmalig sein.

Wie früher im DSL-Geschäft, wird immer gern mit Download-Raten geworben. Das ist aber so, als würde man die Qualität einer Mahlzeit nur anhand einer einzelnen Zutat bewerten. Eine einzige schlechte Zutat kann aber ein ganzes Gericht versauen. So ähnlich ist es mit den Internetanschlüssen in der Bahnstadt. Die Geschwindigkeit hängt sowohl am Download, als auch am Upload. Beide beeinflussen sich gegenseitig. Jedes "Päckchen", das empfangen wird (Download), muss quittiert werden (Upload). Ein langsamer Upload reduziert damit die praktisch erzielbare Reaktions- und Download-Geschwindigkeit.

Download und Upload sind seit den anfänglichen DSL-Zeiten asynchron: Der Download ist immer viel schneller, als der Upload gewesen. Das machte früher eventuell auch mal Sinn. Heute nicht mehr so sehr. Industrie 4.0, Big Data, Cloud Computing und die zunehmende Digitalisierung des Alltags sind real. Teilen Sie Fotos mit Freunden oder lassen Sie welche online entwickeln? Nutzen Sie Dropbox oder andere Online-Festplatten? Verbinden Sie sich mit entfernten Servern oder Ihrem Arbeitsplatz-PC in der Firma? Nutzen Sie Videotelefonie mit Skype oder FaceTime? Verschicken Sie Anhänge per Email? Nutzen Sie die iCloud-Funktionalität Ihres iPhones? ... Haben Sie sich dabei erwischt, "ja" zu sagen? Dann haben Sie in der Bahnstadt ein Problem. Das ist Fakt.

Mehr als prozentuale Unterschiede

Fotos hochladen

Nur eine Hand voll Fotos in mittlerer Qualität (5 Stück, ca 25MB) mit Freunden zu teilen kann dauern:

  • "Private 50" von PremiumTK: mehr als 2 Minuten
  • "3Play Smart 50" von KabelBW: unter 90 Sekunden
  • "Zu Hause M" der Deutschen Telekom: rund 20 Sekunden
  • "Zu Hause M Glasfaser" der Deutschen Telekom: rund 4 Sekunden

Dateien hochladen

Fotos sind dabei noch harmlos. Es gibt aber Internet-Dienste, die schnell die Gigabytes überschreiten. Bei Dropbox bekommen Sie kostenlos 2GB als Onlinefestplatte. Beim Mediencenter der Deutschen Telekom sogar 25GB. Die wollen erst mal befüllt werden.

2GB Daten hochladen im Vergleich:

  • "Private 50" von PremiumTK: mehr als 3 Stunden
  • "3Play Smart 50" von KabelBW: unter 2 Stunden
  • "Zu Hause M" der Deutschen Telekom: weniger als 30 Minuten
  • "Zu Hause M Glasfaser" der Deutschen Telekom: rund 5 Minuten

Fazit

Selbst der Monitoring Bericht des BMWi kommt zu dem Schluss, dass der Upload immer wichtiger wird. Umso interessanter, dass die Manet schon 2011 wie folgt geworben hat: "Mit dem Anschluss an die virtuelle Welt per Hochgeschwindigkeitsnetz setzt dieser Stadtteil [...] auch in Sachen Telekommunikation Standards für die Zukunft." Aus einer Pressemitteilung der Pfalzcom/Manet

Die Tarife, die in der Bahnstadt angeboten werden, haben recht ordentliche Download-Raten, aber nur minimale Upload-Raten. Die Upload-Rate ist in der Tat so winzig, dass selbst traditionelle Technologien wie DSL und Kabel, oder sogar Mobilfunktarife mehr anbieten. Das ist lächerlich. Die Ansprüche an moderne NGA-Netze wie Glasfaser sind weit höher (bis zu 20-fach). Die Konkurrenz in anderen Städten spielt daher logischerweise in einer ganz anderen Liga.

Fazit: Die Infrastruktur der Bahnstadt sollte ursprünglich für unterschiedliche Anbieter zur Verfügung stehen. Das hat bis heute nicht funktioniert – nicht mal im Ansatz. Keiner der Anwohner hatte beim Einzug eine Wahl. Wo sind die Deutsche Telekom, KabelBW, Vodafone und 1&1? Die angebotenen Tarife sind nach Augenwischerei-Taktik aufgebaut. Viel versprochen – wenig gehalten. Zukunftsorientierung, Fehlanzeige. Gerade PremiumTK, die den Großteil der Bahnstadt versorgen, brillieren mit den im nationalen Vergleich schlechtesten Tarifen. Monopole sind immer gefährlich. Das muss sich ändern.

Die Bahnstadt besitzt eine moderne Internet-Infrastruktur. Jetzt bedarf es passender Produkte und einer größeren Anbieterauswahl, damit Versprechen gehalten und Erwartungen erfüllt werden. Das Bahnstadt-Image eines hochmodernen Stadtteils soll ja keinen Schaden nehmen.

Bahnstadt-Info

Zuerst erschienen in der Bahnstadt-Info März 2015 (Nr. 30 vom 20.03.2015).